Jahrestagung 2022

Illustrationen © Marie Enders und Laura Vonhoegen

Jahrestagung 2022

LANDSCHAFTEN IM FOKUS – Baukulturelles Erbe als Chance

26.10.2022 | Waschkaue Kokerei Hansa | Dortmund

Dr. Gudrun Escher für die Fachgruppe:

Mitteleuropäische Landschaften sind kulturell geprägt. Sie waren im Lauf der Geschichte immer wieder durch bauliche Eingriffe Veränderungen ausgesetzt oder werden umgekehrt erst durch solche Veränderungen als Landschaft wahrgenommen. Vielerorts stehen Baudenkmäler und Denkmalensembles wie Klöster, Siedlungen oder Industrieanlagen in einem engen Wechselverhältnis zum sie umgebenden (Frei)Raum. Durch neuere Herausforderungen und Planungen geraten Denkmäler und Landschaften gleichermaßen unter Druck. Die elfte Jahrestagung der Fachgruppe Städtebauliche Denkmalpflege widmete sich den vielfältigen Erscheinungsformen von Landschaften im städtischen Kontext und außerhalb urbaner Agglomerationen. Im Zentrum standen ein Bewusstmachen der Relevanz von Landschaft, Konzepte und Strategien im Umgang mit Landschaft und die Frage, ob und wie die Werte historischer wie neu entstandener Landschaften trotz Bauboom bewahrt und im Zeichen des Klimawandels sogar als Chance für die Zukunft begriffen werden können.

Der Ort für die Jahrestagung war passend zum Thema gewählt. Die Kokerei Hansa in Dortmund stehe stellvertretend für viele andere Orte, an denen die Symbiose aus Landschaft und kulturellem Erbe sichtbar wird, betonte Ursula Mehrfeld als Vorsitzende der Geschäftsführung der Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur in ihrer Begrüßung. Wie relevant die Frage nach dem Umgang mit historischen und neuen Landschaften vor dem Hintergrund von Verdichtung, Wachstum und Klimawandel ist, haben Prof. Christa Reicher für die Fachgruppe Städtebauliche Denkmalpflege und Ina Hanemann für das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bauen und Digitalisierung des Landes NRW in ihren Statements zum Auftakt der Tagung hervorgehoben.

In ihrem Eingangsreferat ging Dr. Dorothea Boesler, LWL- Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur, auf die „Raumwirkung von Denkmälern und Denkmalensembles in der Landschaft“ ein mit Hinweis auf das erst im Januar 2022 herausgegebene  entsprechende Arbeitsblatt des Vereins der Landesdenkmalfachämter. Damit habe der VdL methodisch Neuland betreten, indem die visuellen, funktionalen und strukturellen, aber auch assoziativen Bezüge eines Denkmals ebenso wie die bekannten objektbezogenen in den Blick genommen werden sollten. Der Begriff „Kulturgüter mit Raumwirkung“ müsse Eingang in die Nomenklatur finden. Manche Aspekte könnten sich bereits durch Kartenanalysen erschließen, eine Methode allerdings, die in keiner der relevanten Disziplinen zum Standard gehöre. Ein Beispiel der besonderen Art stellte im Anschluss Andre Dekker, Mitglied der Künstlergruppe Observatorium aus Rotterdam, vor in Gestalt des ehemaligen Fliegerhorstes der Deutschen Wehrmacht im Wald Veluwe bei Arnheim. Der bisher noch von der NATO genutzte Standort werde jetzt aufgegeben und es stelle sich die Frage, wie dieses Flächendenkmal mit 200 Einzelobjekten sich künftig zwischen Ansprüchen der Wirtschaft, des Naturschutzes und der benachbarten Metropole behaupten könne. Dekker plädierte dafür, die Freiräume für Kunst zu nutzen gemäß seiner Maxime „Kunst für das öffentliche Leben“.

Auf die Metaebene der Begrifflichkeiten führte schließlich Dr. Ing. Irene Wiese-von Ofen ein, fußend auf ihren Erfahrungen von der kommunalen bis zur globalen Ebene in Gremien der UN, für die UNESCO und als Vorstandsmitglied von EUROPAN  Deutschland. Sie spannte den Bogen von der Kleinräumigkeit des Japanischen Gartens, der dennoch das Ganze Große meint, bis zum landschaftlichen Freiraum in Ambivalenz zum Gebauten. Sie plädierte für eine systematische Auseinandersetzung mit und eine Differenzierung zwischen Freiraum, Landschaft und Natur. Die Klimaanpassung verlange zudem ein Umdeuten von Landschaft, so ihre These.

Der erste Themenblock galt landschaftlichen Prägungen in der Historie. Oft sind solche Prägungen nicht auf den ersten Blick erkennbar, wie Dr. Marion Brüggler, LVR-Amt für Bodendenkmalpflege, am Beispiel der Römer am Niederrhein anschaulich machte. Deren Eingriffe in die Landschaft reichen von Wasserleitungen, Straßen und Hafenanlagen am Rhein bis zu Siedlungen und heute verschwundenen Militärlagern. Sie gaben der Landschaft eine großräumliche Struktur, die bis heute nachwirkt. Eher kleinräumig konzipiert sind Klosteranlagen, die mit dem zugehörigen landwirtschaftlichen Betrieb immer schon eine abgeschlossene, fast autarke Welt für sich bildeten. Ulrike Rose, Dipl. Kauffrau und Kulturmanagerin, die sich aktuell besonders mit Frauenklöstern im Wandel befasst, berichtete von den Herausforderungen, die der Erhalt dieser einzigartigen Einheit von Gebautem und Klosterlandschaft mit sich bringt, wenn, was immer häufiger der Fall ist, Klostergemeinschaften aus wirtschaftlichen wie personellen Gründen verkleinert oder ganz aufgelöst werden müssen. Eine Lösung können Kooperativen sein, die wie im historisch bedeutenden Kloster Schlehdorf in Bayern Teile der Landwirtschaft übernommen haben. Den Schlusspunkt setzte Prof. Dr. Rolf Kuhn mit dem Fokus auf die Hinterlassenschaften der industriellen Ausbeutung von Landschaft in der Lausitz. Über das Vehikel der IBA Fürst-Pückler-Land gelang dort eine Umdeutung vom Menetekel des wirtschaftlichen Niedergangs zum Hoffnungsträger in einer neuartigen Ästhetik. Statt Endergebnisse anzupeilen gelte es „Zwischenlandschaften“ zu gestalten und dabei die Identität des Vorgefundenen zu wahren.

Im zweiten Themenblock wurde die Problematik des Flächenverbrauchs und damit der Gefährdung von „Landschaft“ mit Fakten unterlegt – soweit das überhaupt möglich ist. Wie Dr. Brigitte Adam, BBSR Bonn, ausführte, fehle eine bundesweit vergleichbare Statistik mit einheitlichen Definitionen dazu, was als Landschaft, Freiraum, Grünfläche etc. gelten soll; demnach seien auch Vergleiche zwischen verschiedenen Kommunen nahezu unmöglich. Als sich Mitte der 1980er Jahre eine rückläufige Bevölkerungsentwicklung in Westdeutschland abzeichnete, sei das Primat der Innenentwicklung in der Bauordnung festgeschrieben worden. Inzwischen aber wächst die Bevölkerung auf derzeit 84,1 Mio. Menschen mit steigender Tendenz. Baulandentwicklung und Bevölkerungszahlen korrelierten nicht. Tobias Flessenkemper erinnerte im Anschluss in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Landschaftsschutz daran, wie lange bereits der Verein auf die Gefährdung von Landschaft durch Überbeanspruchung hinweise. Er reflektierte vor allem auf den Energiesektor mit Blick auf das Ende des Braunkohletagebaus im Rheinischen Revier und mahnte eine „neue Energie für Denkmal- und Landschaftsschutz“ an, verbunden mit der Frage, für wen eigentlich Denkmale und Landschaften zu schützen seien und ob die „Reversibilität“ heutiger Maßnahmen in der Landschaftsnutzung nicht oft eine Mogelpackung sei.

Der dritte Themenblock öffnete Perspektiven auf Erhaltungsansätze, Methoden der Erforschung und Weichenstellungen für eine Zukunft mit Landschaften. Dipl.-Ing. Georgios Toubekis, ICOMOS und Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik FIT in Aachen, berichtete aus der Feldforschung über die Kultur-Landschaft in dem abgelegenen Tal Bamiyan in Afghanistan mit den von Taliban zerstörten Buddha-Figuren, die in dem ruinösen Zustand den Welterbestatus erhielten. Nach Jahren der Arbeit vor Ort stelle sich die Frage, welche Wirkung Denkmalpflege für die Bildung einer resilienten Gesellschaft haben könne, in der durch Urbanisierung aus Bauern Bürger würden, in deren lokaler Sprache es kein Wort für „Kulturlandschaft“ gebe. Erhalt der kulturellen Identität sei nur mit den Menschen vor Ort möglich, mit einer aktiven Zivilgesellschaft für Kultur und Frieden, so die Erfahrung. Der Landschaftsarchitekt Andreas Kipar, Direktor von LAND, knüpfte dort nahtlos an, wenn er feststellte, dass es unter heutigen und künftigen Bedingungen des Klimaschutzes und des Kulturerhalts nicht mehr auf das Bauen ankomme, sondern auf das Kultivieren, eher Prozesse – gemeinsam mit den Menschen – gestalten als Gärten. Dabei habe die aktive Pflege durchaus eine gestalterische Dimension, wie ein Beispiel aus Südtirol zeige, wo sechzehn Gemeinden ihre Zukunftsplanung auf ethischen Grundsätzen neu ausrichten und zugleich neue ästhetische Maßstäbe setzen. Landschaft müsse weniger Beiwerk des Gebauten und eher zum Motor der Entwicklung werden.

Die Abschlussdiskussion, moderiert von Prof. Yasemin Utku, stellte die Frage, an welchen Schrauben man drehen müsse, um Kulturlandschaften als ernstzunehmende Größe zu etablieren. Dazu berichtete Dr. Marita Pfeifer von der Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur, dass zwar der Antrag zur Anerkennung der „Industriellen Kulturlandschaft Ruhrgebiet“ als UNESCO-Welterbe gescheitert sei, aus den umfangreichen Vorarbeiten aber ein interdisziplinäres Kompetenznetzwerk sich gebildet habe, auf dem für die Zukunft aufgebaut werden könne. Das Hauptproblem bestehe auf Landesebene darin, so Ina Hanemann vom MHKBD NRW, dass zwar die Instrumente gut seien, aber fachübergreifende Ansätze in den getrennten Verwaltungsebenen „verloren“ gingen. Dem pflichtete Dr. Barbara Darr, Wald & Holz NRW, insofern bei, als eine Vorstellung von „Wildnis 4.0“ auf ehemals urbanen Flächen für Forstleute ungewohnt sei, aber Wald in der Stadt müsse mitgedacht werden und sei erhaltenswert. Lernen könnten Planer von Förstern, denn diese denken in Zeiträumen von 100 Jahren. In Kulturlandschaftsplänen fehle zumeist das wichtige Momentum der Kommunikation in die Gesellschaft, die erst das geforderte „Erhalten“ möglich mache. Die „Ökosystemleistung“ von Wald (oder gefährdeter Alleen wie entlang der B1 in Dortmund) brauche neue Allianzen für Denkmal und Landschaft, um wirken zu können.

Als eine Art Schlusswort propagierte der derzeitige Präsident des BDLA Stephan Lenzen das „neue Zeitalter der Landschaft“ und traf damit auf breite Zustimmung des Auditoriums.

© Uwe Grützner

© Uwe Grützner

© Uwe Grützner