Jahrestagung 2023

Gestaltung © Laura Vonhoegen | Fotografie © Initiative Umbau

Jahrestagung 2023

IDENTITÄT UND GEMEINWOHL – Baubestand als Ressource für Kultur und Bildung

27.10.2023 | Karl-Schüßler-Saal | TH Köln

Dr. Gudrun Escher für die Fachgruppe:

Hoher Sanierungsstau an öffentlichen Gebäuden gepaart mit veränderten Anforderungen und Erwartungen an Räume für Kultur und Bildung rückten den erhaltenswerten Baubestand und dessen Potenziale in den thematischen Fokus der Jahrestagung 2023 der interdisziplinär besetzten Fachgruppe Städtebauliche Denkmalpflege. Erhaltenswerte Gebäude umfassen mehr als den Denkmalbestand und sollten vor allem aufgrund ihrer architektonischen, städtebaulichen und identitätsbildenden Qualitäten nicht vorschnell aufgegeben werden. Zu Gast waren wir in diesem Jahr in Räumen der Technischen Hochschule Köln, die selbst ein Paradebeispiel für die Thematik darstellt, wo Abrissbeschlüsse auf engagierten Widerstand in der Öffentlichkeit und durch die Studierenden selbst treffen.

Um der Diskussion in der Breite der Thematik Raum zu geben,  luden Tischgespräche zum Weiterdenken ein, angeregt durch das Eingangsreferat von  Prof. Florian Hertweck, Universität Luxemburg, mit der Aufforderung: Umbauen, Weiterbauen! Generell müsse die Bewertung und Bauunterhaltung auf Langlebigkeit ausgerichtet werden, um zukunftsfähig zu sein, kurzfristigen Begehrlichkeiten zu widerstehen und verantwortungsvoll mit der knappen Ressource Boden umzugehen. Unter den fünf Oberbegriffen Kultur, Identität, Bildung, Initiative und Energie kamen an den Tischen eingeladene Expertinnen und Experten, die aus ihrer Praxis und von ihren Projekten berichteten, mit Studierenden, kommunalen Vertreterinnen und Vertretern und sonst Interessierten ins Gespräch, was zu einem fruchtbaren Austausch führte, jeweils moderiert von Mitwirkenden der Fachgruppe. 

Der Nachmittag war dann der Vertiefung in Einzelreferaten gewidmet u.a. von Prof. Tim Rieniets, Universität Hannover und Mitglied der Fachgruppe, der auf die „Kunst“ des Erhaltens durch Kunst und Kulturschaffende abhob, wo Räume nicht Ziel sondern Werkzeug der Begegnung werden. Eine vergleichbare Einstellung ermöglichte in Hamburg die Umformung eines Kaufhauses zur Stadtteilschule u.a. dank neuer pädagogischer Konzepte, die mehr Freiheit in der Nutzung des vorhandenen Raumangebots eröffnen, wie Michael Specht von agn verdeutlichte. In Berlin ist nach Bericht von Kim Gundlach die Initiative ZUsammenKUNFT Berlin zum Erhalt und zur breiten kulturellen Nutzung des ehemaligen Hauses der Statistik am Alexanderplatz nach harten Auseinandersetzungen auf dem Weg in die Realisierung. Und das Beispiel der Walhalla in Wiesbaden beweist, welche Schätze ein totgeglaubtes Bauensemble bereithält, wenn man sich dem Bestand ernsthaft widmet, präsentiert von  Vanessa Remy, Thorsten Brokmann und Martin Horsten. Ein besonderes Kapitel schlug Dr. Karin Berkemann, moderne regional, auf mit dem Blick auf die Identität von aufgegebenen Kirchen der Moderne und die Vielfalt möglicher Zukünfte mit gesellschaftlicher und kultureller Relevanz. 

Aus den Tischgesprächen kristallisierten sich, unabhängig von dem jeweiligen thematischen Schwerpunkt, eine ganze Reihe von Kernsätzen und Forderungen heraus, ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

  • ohne Bestandserhalt kann der Bausektor seine Klimaziele nicht erfüllen
  •  Leerstandskataster und gezieltes Leerstandsmanagement als Voraussetzung für zielgerichtetes Agieren mit dem Bestand
  • über Interventionen neue Standards vorleben, neue Ästhetiken zeigen, neue Denkweisen sichtbar machen
  • auf künstlerische/soziale Innovation statt auf rein technische Innovation vertrauen
  • den Wissensschatz der Bevölkerung, von Initiativen und lokalen Akteuren als „Agglomeration von Visionen“ anerkennen
  • Kommunikation zwischen Beteiligten und Kommunen verbessern
  • robuste bauliche Strukturen bewahren für sich ändernde Bedarfe und Wünsche
  • verborgene Raumpotenziale im Bestand erfassen und neu denken
  • Bauteile an anderer Stelle wieder nutzen, Umbauerfahrungen für bauähnliche Objekte bereit stellen
  • Denkmalpflege als Bestandteil der Stadtentwicklung begreifen
  • Architekt*innen in der Rolle der Moderator*innen begreifen
  • bessere baurechtliche Möglichkeiten (bsp. Gebäudeklasse E) schaffen
  • rechtliche Grenzen (z.B. hybride Gebäudenutzung, Haftungsfragen) klären
  • an den Umbau angepasste Förderkulissen bereitstellen
  • Energie folgt der Aufmerksamkeit: angemessene Honorare fördern den ziel- wie zweckmäßigen Umgang mit dem Bestand
  • neue Synergien zwischen Denkmalpflege und Architektur schaffen.

Anstatt die Denkmalpflege zu meiden (weil sie angeblich den Fortschritt verhindert), können Architekten von der Denkmalpflege den Bauerhalt lernen. Der Denkmalschutz könnte über das Einzeldenkmal hinaus einen substanziellen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung leisten. 

In ihrem Schlusswort betonte Prof. Christa Reicher im Namen der Fachgruppe, dass die ökologische Dimension des Bauens immer eng mit der sozialen Dimension verbunden sei und zugleich eine wichtige ästhetisch-symbolische Funktion übernehme. Die Curricula an den Hochschulen sollten in diesem Sinne revidiert werden, weniger ausgerichtet auf ein finales Ergebnis als vielmehr auf integrative Prozesse und auf Knowhow des Um- und Weiterbauens. Das gemeinsame Agieren mit anderen Disziplinen und in einer klugen Verschränkung aus Top-down-  und Bottom-up- Prozessen erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Umbaukultur gestärkt wird, auch im Sinne von einem Mehr an Identität und Gemeinwohl. 

© Uwe Grützner

© Uwe Grützner

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