Jahrestagung 2024
Gestaltung © Hannah Keuser | Fotografie © Prof. Christa Reicher
Jahrestagung 2024
KLIMASENSIBEL WEITERBAUEN – Historische Städte und Quartiere an den Klimawandel anpassen
21.11.2024 | Campus des EBZ | Bochum
Dr. Gudrun Escher für die Fachgruppe:
Was noch vor wenigen Jahren als allgemeine Forderung für eine unbestimmte Zukunft diskutiert wurde, ist drängende, konkrete Aufgabe geworden: Angesichts der spürbaren Folgen des Klimawandels müssen Strategien der Stadtentwicklung neu justiert werden, auch dort, wo historisch wertvolle Bausubstanz und denkmalwerte Quartiere betroffen sind. Alle am fortdauernden Prozess der Stadtentwicklung Beteiligten sehen sich vor neue Aufgaben gestellt, für die die Erfahrungen oft noch fehlen und für deren Lösung die Meinungen auseinander gehen.
Die Jahrestagung 2024 der Fachgruppe Städtebauliche Denkmalpflege widmete sich in Vorträgen und Diskussionsrunden der Wechselbeziehung von Klimaresilienz und kulturellem Erbe in der Stadt. Einführende Vorträge beleuchteten Perspektiven der Stadtentwicklung, der Denkmalpflege und der Klimaveränderung und verdeutlichten von je unterschiedlichen Standpunkten aus den notwendigen Perspektivwechsel. Prof. Torsten Bölting, InWIS / EBZ Business School, fragte, für wen die Stadt geplant werde. Ökonomie folge immer der Nachfrage und da stünden beim Wohnen sichere, ordentliche und ästhetisch ansprechende Wohnungen ganz oben, am besten neue Wohnungen in der alten Stadt. Dr. Matthias Ripp, Stadt Regensburg, verwies auf die doppelte Bedrohung historischer Städte durch zu viel wie zu wenig Wasser. Der Wert des Kulturerbes konkretisiere sich im Gebrauchswert und der schließe viele Faktoren ein, nicht nur technische, sondern auch soziale, politische und historische. Denkmale geben Sinn jenseits des reinen Schutzgedankens. Susanne Linnebach, Emschergenossenschaft, berichtete von der Initiative Klima.Werk, die sich eine Sektor übergreifende wassersensible Stadtentwicklung mit multifunktionaler Flächennutzung zum Ziel gesetzt habe. Statt Millionen Euro in Schadensanierung zu investieren, sei es sinnvoller vorbeugend auch mit kleinen Maßnahmen Wasser wieder an die Oberfläche zu holen und Versickerungsflächen zu schaffen ggf. auf nicht vermarktbare Industriebrachen. Die anschließende Diskussion mündete in der Überzeugung, dass der Perspektivwechsel geübt werden müsse, auch mit Fehlertoleranz, dass Infrastruktur stärker als bisher mit bedacht und die Ausbildung wieder stärker auf „Generalisten“ mit Blick für das Ganze ausgerichtet werden müsse.
Um der Breite des Themas in Ansätzen gerecht zu werden, wurde, moderiert von Mitgliedern der Fachgruppe, in vier Tischgruppe diskutiert zum Umgang mit dem Baubestand, der Freiraumgestaltung, den sozialen Implikationen und den konkreten Möglichkeiten, mit neuen Akteuren neue Allianzen zu bilden. Die fachlichen Eingangsstatements zu den Diskussionen wurden in den Zusammenfassungen des Nachmittags noch einmal vertiefend ergänzt und mit praktischen Beispielen untermauert u.a. durch Prof. Jutta Albus, Hochschule Bochum, mit Verweis auf die Ergebnisse der Forschungsgruppe Einfach Bauen. Mit wenigen energetischen Sanierungsmassnahmen bei reduzierten Investitionskosten erziele man im Wohnungsbau unter Berücksichtigung von Rebound-Effekten über den Lebenszyklus betrachtet das gleiche Ergebnis wie bei einer Sanierung im EH55-Standard. Im Bestand seien zudem Kulturelle und soziale Werte ebenso wie die ökonomischen Werte zu beziffern. Eine Gefahr bestehe darin, dass der Baubestand mit zu vielen divergierenden Ansprüchen überfordert werde. Prof. Rainer Sachse, HfWU, mahnte aus den Erfahrungen beim Umbau des Bonner Stiftsplatzes die Rückbesinnung auf die historische Stadt und deren klimaresiliente Strukturen über und unter der Erde an. Den größten Effekt erziele die Pflege alter Bestandsbäume, aber Baumpflege sei ein „leises Thema“. Margarete Meyer, AG Soziale Stadt, berichtete aus ihrer Erfahrung in Essen, dass gerade dort, wo die Probleme besonders sichtbar seien, erst gelernt werden müsse, Werte, auch Denkmalwerte, zu erkennen und in den Ort zu investieren. Dennoch lohnen sich auch kleine Schritte mit Mehrfachnutzen.
Prof. Mario Tvrtković, DASL, hob noch einmal Aspekte hervor, die in einer oder der anderen Akzentuierung in allen Diskussionsrunden angesprochen wurden. Unschärfe und Experiment sollten künftig zur Routine werden bei Nutzungsoffenheit der Lösungen und Reversibilität der Maßnahmen. Die Richtlinie der EU „Heritage Design for Future“ bedeute das Gegenteil von Zustandserhalt. Denkmalpflege sei zunehmend als Querschnittfunktion zu verstehen und einzubinden in die kommunalen Wärmeplanungen. Eine „transformative Planungskultur“ müsse mehr Allianzen auch mit intermediären Akteuren wie Vereinen und NGOs wagen. Angesichts akuter Bedrohungen sei in Einzelfällen wie etwa Venedig eine „Palliativpflege“ historischer Städte überfällig.
In ihrem Resümee verwies Prof. Christa Reicher auf frühere Tagungen der Fachgruppe von der ersten 2010 „Zukunft braucht Herkunft“ bis 2019 „Stadt unter Druck“. Seither seien die Aufgabenstellungen dringlicher aber auch komplexer und konkreter geworden. Prozesshaft verstandene städtebauliche Denkmalpflege könne zur Krisenbewältigung beitragen, wenn Verwaltungsstrukturen reformiert und integrales Planen ermöglicht werde. Nur im Miteinander und mit politischer Rückdeckung könnte der Qualitätsgewinn, könnte der kommunale Mehrwert erprobt werden. Voraussetzung seitens der Hochschulen sei mehr Interdisziplinarität und Wissen über das Weiterbauen in der Lehre.
Vergleichbar mit der von Susanne Linnebach angesprochenen „Zukunftsinitiative Klima.Werk“ sei eine „Zukunftsinitiative Denkmal.Werk“ vorstellbar, die mit schlagfertigen Akteurskonstellationen wirken und Experimente wagen könne. Denkmale seien als Teil eines Systems im Kontext mit ihrer Umgebung zu verstehen und eingebunden in die Prozesse der Veränderung, zu denen sie selbst sinnstiftend beitragen. Die Idee fand allgemeine Zustimmung!
Eine Dokumentation aller Beiträge der Tagung ist in der Publikationsreihe der Fachgruppe „Beiträge zur Städtebaulichen Denkmalpflege“ in Vorbereitung.
© Uwe Grützner
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